Fast fünf Jahre brauchte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, um über die Beschwerde von WELT-Autor Deniz Yücel gegen seine Inhaftierung in der Türkei zu entscheiden. Das Gericht gibt ihm recht – enttäuscht Yücel aber auch in zentralen Punkten.
er Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat der Klage von Deniz Yücel gegen seine Inhaftierung in der Türkei stattgegeben. Nach fast fünf Jahren entschieden die Richter zugunsten der Haftbeschwerde, die der WELT-Autor eingelegt hatte, nachdem ein Istanbuler Gericht im Februar 2017 Untersuchungshaft gegen ihn verfügt hatte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm damals Terrorpropaganda und Volksverhetzung vor.
Der EGMR entschied nun, dass Yücels Inhaftierung unrechtmäßig war. „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte drei Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention fest“, heißt es in der Kurzfassung des Urteils, die am Dienstagmorgen veröffentlicht wurde. Yücels Inhaftierung habe gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Entschädigung nach unrechtmäßiger Inhaftierung und das Recht auf Meinungsfreiheit verstoßen.
In einer ersten Reaktion zeigte sich Yücel nur teilweise zufrieden mit dem Urteil: „Ich bin ja sehr froh, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Mai 2017 entschieden hatte, meine Beschwerde gegen die Untersuchungshaft vorrangig und in kürzestmöglicher Zeit zu behandeln. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie lange ich sonst auf dieses Urteil hätte warten müssen“, sagte Yücel WELT. „Dass die Straßburger Richter eine Verletzung meines Rechts auf Freiheit und Sicherheit sowie meines Rechts auf Meinungsfreiheit festgestellt haben, ist erfreulich. Enttäuschend ist hingegen, dass die Richter keinen Verstoß gegen das Folterverbot feststellen wollten – trotz der neunmonatigen Isolationshaft und trotz der psychischen und körperlichen Gewalt, der ich im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 zeitweise ausgesetzt war.“
Besonders enttäuschend und zudem verwunderlich findet Yücel, dass der EGMR nicht im Sinne von Artikel 18 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt habe, dass das Verfahren gegen ihn politisch motiviert war. „Ich vermute, damit dürfte nicht einmal Recep Tayyip Erdogan gerechnet haben. Seine wiederholten öffentlichen Angriffe gegen mich, seine Versuche, mich in Gangstermanier zum Gegenstand politischer Verhandlungen zu machen, die Staatsanwaltschaft, die mich auf Erdogans persönliche Anweisung ein Jahr lang auf eine Anklageschrift warten ließ, ja selbst die Umstände meiner Freilassung – in diesem Verfahren gibt es keine Faser, die nicht politisch motiviert gewesen wäre.“ Der politische Charakter des Verfahrens sei allen Beteiligten und auch in der Öffentlichkeit bekannt gewesen. Dass die Richter dies ignorierten, schade dem Ansehen des Gerichts, so der WELT-Autor.
Quelle: www.welt.de