Peter Freitag / Vizepräsident der Internationalen Deutschen Journalisten-Union (DJU).
Die neue Regierung in Deutschland sollte Druck auf den NATO-Partner Türkei ausüben, unsere inhaftierten Kollegen freizulassen. Dieses Thema ist mit Erdoğan nicht verhandelbar, es ist keine Frage des Feilschens. In der Türkei herrscht ein Willkürregime, das kritischen Journalismus, Pressefreiheit und Menschenrechte vernichtet und systematisch unterdrückt.
Pressefreiheit bleibt weiterhin ein wichtiges Thema. Auch in Europa gibt es weiterhin Druck auf Journalisten. Wie beurteilen Sie die Lage in Belarus?
Wir machen uns große Sorgen um unsere Kolleg:innen in Belarus. Seit dem Beginn der Massenproteste wurden nach Angaben der belarussischen Journalistengewerkschaft BAJ mehrere Hundert Medienschaffende festgenommen, viele von ihnen wurden auch Opfer staatlicher Gewalt. Selbst vor Folter schreckt das Regime nicht zurück. Belarus ist nach der Türkei das zweite große „Journalistengefängnis“ in Europa. Besonders deprimierend ist, dass wir den Betroffenen nur unzureichend Hilfe leisten können, weil das Lukaschenko-Regime auf jede Form direkter Unterstützung mit weiteren Repressalien reagiert.
Auch in Ungarn sieht es nicht gut aus. Dort sind die klassischen Medien Print, Radio und Fernsehen überwiegend in Regierungshand. Das Land ist Mitglied der EU. Was erwarten Sie von Brüssel?
Die EU ist ja nicht nur ein Wirtschaftsraum, sondern eine Wertegemeinschaft. Unsere Erwartung ist deshalb, dass die EU die Regierung Orban mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zwingt, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten. Dazu gehört natürlich auch die Pressefreiheit. Wir brauchen in der EU endlich wirksame Werkzeuge gegen die Aushöhlung der Medienfreiheit – nicht nur in Ungarn.
Auch in Deutschland gibt es vermehrt Angriffe auf Journalist:innen. Immer wieder gibt es bei Demonstrationen der sog. Querdenker Angriffe auf Kolleg:innen. Wie beurteilen Sie diese Übergriffe und was wünschen Sie sich vom Staat?
Diese Übergriffe sind nicht hinnehmbar. Vor wenigen Wochen erst wurde unsere Berliner dju-Geschäftsführer Jörg Reichel am Rande einer „Querdenker“-Demo angegriffen und krankenhausreif geprügelt. Es gibt inzwischen Sender, die ihre Teams nur noch mit Personenschutz zu Demonstrationen von sogenannten Querdenkern, Rechtspopulisten und Faschisten schicken. Das ist zwar sehr anerkennenswert, kann aber keine Lösung sein. Journalist:innen müssen bei ihrer Arbeit von den dafür Zuständigen geschützt werden – von der Polizei und notfalls von den Gerichten. Wir wünschen uns, dass auch die polizeilichen Einsatzkräfte und ihre Vorgesetzten Pressefreiheit als ein unverzichtbares Gut anerkennen und helfen, dieses Grundrecht durchzusetzen.
Leider erleben wir immer wieder, dass Polizistinnen Medienschaffende bei Demonstrationen als Störfaktor wahrnehmen und nicht als Menschen, die eine für unsere Gesellschaft fundamentale Arbeit leisten. Unser Eindruck ist, dass bundesweit bei der Polizei ein erheblicher Nachholbedarf in Sachen Pressefreiheit besteht. Dieses wichtige Thema muss mehr Raum bei der polizeilichen Ausbildung einnehmen. Wir stehen da als größte europäische Mediengewerkschaft gern als Ansprechpartner zur Verfügung.
Vier Journalisten haben unterstützt von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di eine Klage gegen den Freistaat Bayern beim Verwaltungsgericht München eingereicht. Diese waren auf dem Gelände der Internationalen Automobilausstellung (IAA) von Polizeibeamten angehalten und kontrolliert worden, trotz Hinweisen auf eine bereits am Eingang erfolgte Kontrolle und ihre ordnungsgemäße Akkreditierung sowie des Vorzeigens ihrer Presseausweise wurden sie in Gewahrsam genommen. Einzelfall?
Wie bewerten Sie das? Bedauerlicherweise sind die Vorfälle rund um die IAA kein Einzelfall. Immer häufi ger müssen wir als dju in ver.di Journalistinnen und Journalisten dabei unterstützen, deutsche Behörden gerichtlich zu zwingen, sich an rechtsstaatliche Grundsätze zu halten und das Grundrecht der Pressefreiheit zu achten. Dass Kolleginnen an der Berichterstattung gehindert wurden, haben wir beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 ebenso erlebt wie bei den Protesten am Hambacher Forst in NRW. Erst im Juni dieses Jahres ist es bei einer Demonstrationgegen das geplante NRW-Versammlungsgesetz in Düsseldorf sogar zu gewalttätigen Übergriffen von Polizisten auf Journalist:innen gekommen. Das ist nicht hinnehmbar.
Derzeit scheint das Sorgenkind Afghanistan zu sein. Viele Kolleg:innen sind weiterhin im Land und schaffen es nicht heraus. Die Taliban habent viele von ihnen verhaftet. Was erwarten Sie von der Bundesregierung und Staatengemeinschaft?
Die Rettung der afghanischen Medien- und Kulturschaffenden hat derzeit absolute Priorität, wird von der Bundesregierung aber nicht mit dieser gebotenen Dringlichkeit vorangetrieben. Unsere Kolleg:innen und Kollegen schweben in akuter Gefahr für Gesundheit und Leben und die Sicherheitslage verschlechtert sich stetig. Deutschland und die anderen demokratischen Staaten der internationalen Gemeinschaft müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die gefährdeten Menschen sowie ihre Angehörigen aus Afghanistan herauszuholen und ihnen eine sichere Aufnahmeperspektive zu bieten.
Auch die Türkei bleibt weiterhin ein gefährliches Land für Journalist:innen. 300 Kolleg::innen sind nach dem Putschversuch ins Ausland gefl üchtet, ca. 100 Medienschaffende sind weiterhin im Gefängnis und die Bundesregierung scheint tatenlos zuzusehen. Was erwarten Sie von einer zukünftigen Bundesregierung?
Unsere Erwartungen an die künftige Bunderegierung sind die gleichen wie an die derzeitige: Sie muss ihren Einfl uss auf den Nato-Partner Türkei nutzen, um zu erreichen, dass unsere Kolleg:innen freigelassen werden. Es darf keine Deals und faulen Kompromisse mit Staatspräsident Erdoğan geben. Die Türkei ist ein Willkürregime, in dem kritischer Journalismus kriminalisiert und Menschenrechte wie die Pressefreiheit systematisch unterdrückt werden.
Wenn die Bundesregierung es mit ihren proklamierten Werten ernst meint, dann darf es an einen solchen Staat keine Zugeständnisse geben.