Während des Besuchs des schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson in der Türkei wurde der Name eines Pressearbeiters genannt, der seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit Journalismus verdient. Der im Exil lebende Journalist Bülent Keneş, dessen Auslieferung von dem parteigebundenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ins Gespräch gebracht wurde, wurde zu einem Verhandlungsobjekt für Schwedens NATO-Mitgliedschaft.
Auf der einen Seite Schweden, das auf der Liste der demokratischsten Länder der Welt den dritten Platz einnimmt, und auf der anderen Seite die Türkei, in der die Verfassung außer Kraft gesetzt wurde, die von einem Ein-Mann-Regime regiert wird und auf der Liste der demokratischen Länder im Jahr 2022 eines dee letzten Plätze einnimmt. Was diese beiden Länder miteinander verbindet, ist die Tatsache, dass die „Presse- und Meinungsfreiheit„, die eine Grundvoraussetzung für ein demokratisches Land ist und ganz oben auf der Liste steht, Gegenstand von Verhandlungen ist.
Erdoğan erklärte: „Die Abschiebung des Terroristen Bülent Keneş in die Türkei ist wichtig für uns. Wir wollen, dass Schweden sensibler handelt.“ Bülent Keneş, Zielpunkt von Erdgans Rede, hat seinen Abschluss an der Boğaziçi-Universität, Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften, im Fachbereich Politikwissenschaften und internationale Beziehungen gemacht hat. Im Jahr 1994 begann er seine journalistische Laufbahn bei der Zeitung Zaman. Nachdem er in verschiedenen Abteilungen der Zeitung gearbeitet hatte, wurde er im Oktober 1995 zum Direktor für Auslandsnachrichten und 1999 zum Nachrichtendirektor ernannt.
Es ist allgemein bekannt, dass Presse- und Meinungsfreiheit die Grundlage der Demokratie bilden und eine gute Regierungsführung in den Ländern gewährleisten. Eine freie Presse ist wichtig für das Überleben der Demokratie. Sie ist auch von grundlegender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit. Die von Erdoğan geforderte Auslieferung von Bülent Keneş, der als „Terrorist“ bezeichnet wurde und nur wegen seiner Schriften im Exil lebt, ist jedoch absolut inakzeptabel.
Keneş ist der Ex-Chefredakteur der englischsprachigen Zeitung Today’s Zaman. Die Zeitung wurde von Erdoğan beschlagnahmt und terrorisiert, weil sie angeblich an der Planung des Putschversuchs gegen ihn im Jahr 2016 beteiligt war. Mehrere Journalist*innen, darunter auch Bülent Keneş, wurden im Vorfeld der türkischen Wahlen von der vom türkischen Geheimdienst kontrollierten Zeitung Sabah ins Visier genommen und ihr Privatleben, einschließlich ihrer Wohnadressen, veröffentlicht.
Keneş sagt, dass sie glauben, er zerstöre das Image der Türkei in den Augen der westlichen Welt und dass er nur über das berichtet, was in der Türkei passiert. In einem Interview mit dem schwedischen Fernsehsender SVT sagte Keneş: „Er ist ein Despot und ich bin ein Journalist. Ich erwarte alles von einem Despoten, der sich nicht um die Meinungsfreiheit schert.
„Alles wird von einem Despoten erwartet, der sich nicht um die Meinungsfreiheit, die Menschenrechte und die Rechte und Pflichten von Journalist*innen schert. Ich bin nicht überrascht, aber ich habe nicht erwartet, meinen Namen bei diesem besonderen Besuch zu hören“, sagt Keneş: „Ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft, weil ich immer an die Rechtsstaatlichkeit in Schweden geglaubt habe. Ich hoffe, die schwedische Regierung wird mich in dieser Hinsicht nicht enttäuschen. Ich bin nach Schweden gekommen, weil ich das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Leben habe, das in diesem Land alles ist, ebenso wie die Achtung der Menschenrechte und der Freiheit. Deshalb vertraue ich darauf, dass das schwedische Recht mich schützen wird.“
Bülent Keneş, der seine akademischen Studien und seine journalistische Tätigkeit fortsetzt, hat als Redaktionskoordinator der Turkish Daily News, als New Yorker Büroleiter der Anadolu Agency, als Chefredakteur der Bugün Newspaper und als Gründungs-Chefredakteur der englischsprachigen Today’s Zaman Newspaper gearbeitet.
Bülent Keneş, der ab 2010 an der Fatih-Universität internationale Beziehungen, Politikwissenschaft und Kommunikation gelehrt hat, wurde am 10. Oktober 2015 auf Antrag von Erdoğans Anwälten von der Anti-Terror-Abteilung mit der Begründung festgenommen, er habe Erdoğan in seinen Tweets beleidigt.
Bülent Keneş, Chefredakteur der Zeitung Today’s Zaman, wurde mit der Begründung verhaftet, er habe Erdoğan in seinen Twitter-Nachrichten beleidigt, und ins Silivri-Gefängnis gebracht.
Nach dem 15. Juli wurden auch gegen Bülent Keneş Ermittlungen eingeleitet. Keneş geriet auch in Schweden, wo er im Exil lebt, ins Visier der regierungsnahen Medien.
Karl Lindblom Dalén, Nachrichtenchef der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter, und Isabelle Eriksson, Reporterin der Online-Tageszeitung Bulletin, erklärten, dass der türkische Präsident Erdoğan den Journalisten Bülent Keneş ausgewählt habe, um Schweden zum NATO-Beitritt zu bewegen, und dass Kenes wiederum sich keine Sorgen mache, weil er dem schwedischen Recht vertraue.
Bitte Hammargren, MENA- und Türkei-Analystin und Journalistin, ehemalige Türkei-Korrespondentin von Svenska Dagbladet, kommentierte die Verhandlung von Keneş auf Twitter wie folgt: „Natürlich ist es von entscheidender Bedeutung, dass Schweden weiterhin demonstriert, dass die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gelten, d.h. keine doppelte Strafbarkeit bei Auslieferung. Doch wenn Präsident Erdoğan einen Gesprächspartner findet, der bereit ist, mehr Zugeständnisse zu machen, als in einer Absichtserklärung gefordert, wird er weiterhin bis zum Äußersten gehen. Wie erwartet, will Präsident Erdoğan weitere Zugeständnisse. Er nutzt das Vorwahlabkommen mit Schweden und Finnland und wird dies auch weiterhin tun“.
Reporter ohne Grenzen stufte die Türkei in Bezug auf die Pressefreiheit auf Platz 151 von 180 Ländern ein, noch hinter dem Russland von Wladimir Putin. Im Vorfeld der Wahlen im nächsten Jahr wird Erdoğan weiter versuchen, die Medien mundtot zu machen, und der Rang der Türkei wird wahrscheinlich noch weiter sinken.
Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson wäre in seinem eigenen Land nicht in die Kritik geraten, wenn er vor dem türkischen Präsidenten, den er durch das Tragen der Flaggen beider Länder an seinem Revers respektiert, gesagt hätte, dass die Pressefreiheit nicht beeinträchtigt werden darf. Der schwedische Journalist und Schriftsteller Kurdo Baksi bringt, wie viele seiner Kollegen, seine Unterstützung in einer Botschaft zum Ausdruck: „Ich kenne Bülent schon seit Jahren. Er ist einfach ein guter Journalist. Er ist definitiv kein Terrorist“.
Wie im Fall von Keneş können weder in der Türkei noch in einem anderen Land der Welt Journalist*innen als Druckmittel zum Machterhalt eingesetzt werden.