„Dies ist keine Einbildung, sondern eine reale Gefahr. Gehen Sie nicht in die Türkei!“ – der DJV-Vorsitzende Prof. Dr. Frank Überall.
All dies kann nur als reine Willkür angesehen werden. Kann ein Kommentar oder auch nur ein „Like“ in sozialen Netzwerken plötzlich den Urlaub beenden? Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rät daher dringend von Reisen in die Türkei ab. Wie schön das Land und die Menschen auch immer sein mögen… wie sehr man sich auch nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dort sehnt.
Die Türkei ist noch immer eines der beliebtesten Urlaubsländer der Deutschen. Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts Allensbach sind in diesem Jahr mehr Menschen dorthin gereist als nach Kroatien, Griechenland oder Frankreich. Die Türkei ist ja auch ein wunderschönes Land: Kultur und Landschaft haben viel zu bieten, die Küche ist einzigartig lecker, die Menschen sind gastfreundlich. Und Flüge in die Türkei gibt es zuweilen schon zum Schnäppchenpreis von weniger als 50 Euro pro Strecke.
Für viele aber kommt das Land als Urlaubsort nicht in Frage. Nicht einmal berufliche Reisen können sie ruhigen Gewissens antreten. Sie müssen schlicht Angst haben, im besten Fall zurückgeschickt zu werden, im schlimmsten Fall jedoch im Gefängnis zu landen – ohne die Aussicht auf einen fairen, rechtsstaatlichen Prozess. Gerade die Gruppe der Journalistinnen und Journalisten ist davon besonders betroffen.
Es reicht, sich etwa in vermeintlich privaten Statements im Internet kritisch zur türkischen Regierung oder insbesondere über Präsident Erdogan geäußert zu haben, und schon können am Flughafen die Handschellen klicken.
Das ist kein Hirngespinst, sondern eine reale Gefahr! So schreibt das Auswärtige Amt auf seiner Webseite ausdrücklich, dass es „weiterhin Fälle“ gebe, in denen deutsche Staatsangehörige willkürlich in der Türkei festgenommen worden seien. Häufig werde der Verdacht auf Propaganda oder Unterstützung einer (angeblich) terroristischen Vereinigung zur Last gelegt. „Die türkischen Strafverfolgungsbehörden führen offenbar umfangreiche Listen von Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die auch ohne hinreichende Vorermittlungen zum Ziel von Strafverfolgungsmaßnahmen werden können“, heißt es auf der amtlichen Seite des deutschen Außenministeriums. Selbst „Likes“ in sozialen Netzwerken, die in Deutschland vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt seien, könnten in der Türkei für eine Strafverfolgung ausreichen.
Hinzu kommt neuerdings das „Anti-Desinformationsgesetz“, das vom Auswärtigen Amt äußerst kritisch beäugt wird. Demnach könne die Verbreitung von Aussagen, die von Strafverfolgungsbehörden als unwahr und als Gefährdung für die Sicherheit des Landes, die öffentliche Ordnung oder die Gesundheit der Bevölkerung eingestuft werden, zu einer Strafverfolgung führen. Auch wer an Demonstrationen in Deutschland teilnehme oder Mitglied in einem hierzulande rechtlich legal eingetragenen Verein mit Bezug zu kurdischen Anliegen sei, könnte festgenommen werden.
Das alles kann man nur als Willkür wahrnehmen. Ein Kommentar, sogar ein einfaches „Like“ in sozialen Netzwerken als jähes Ende einer Urlaubsfahrt? Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rät deshalb von Reisen in die Türkei dringend ab. So schön das Land und die Menschen auch sind. Und wie sehr sich viele dort auch nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehnen. Journalismus wird in der Türkei aber faktisch wie ein Verbrechen behandelt. Unabhängig und auch kritisch zu berichten, ist kaum noch möglich. Pressefreiheit scheint in der türkischen Regierung und bei staatlichen Stellen zum Fremdwort geworden zu sein.
Natürlich gibt es noch Nischen, in denen man einigermaßen seinen journalistischen Job machen kann, ohne willkürlich verfolgt zu werden. Es gibt aber auch die unzähligen anderen Fälle, in denen Medienschaffende im Knast landen, obwohl sie nichts anderes getan haben, als ihren Beruf auszuüben. Als Beispiel nannte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jüngst den Journalisten Ahmet Altan. Bei einem Kulturabend „Von Verlust und Zuflucht. Exil“ im Schloss Bellevue nannte das Staatsoberhaupt Altan als Beispiel für alle, die in der Türkei im Gefängnis sitzen oder ihr Land nicht verlassen dürfen.
Obwohl der Abend dem Exil weltweit gewidmet war, spielte die Türkei in der Rede des Bundespräsidenten immer wieder eine Rolle. Beispielsweise, als er auf Asli Erdogan zu sprechen kam. Sie zähle zu den international bekanntesten Schriftstellerinnen der Türkei, führte Frank-Walter Steinmeier aus. 2016 sei sie wegen ihrer Tätigkeit als Kolumnistin der türkisch-kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem verhaftet worden. Seit 2017 lebt sie in Deutschland im Exil.
Sie ist nicht die Einzige. Es werden immer mehr, die die Türkei verlassen müssen, weil sie willkürliche Verfolgung befürchten. In diesem Zusammenhang ist es kaum angemessen, dafür den Begriff „strafrechtlich“ zu verwenden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte musste schon in mehreren Einzelfällen darauf hinweisen, dass in der Türkei grundlegende Standards nicht eingehalten werden. Das hält die dortige Regierung aber nicht davon ab, ihren menschenrechtswidrigen Weg beharrlich weiter zu gehen.
Nun mag man argumentieren, dass eine Reisewarnung insbesondere an Journalistinnen und Journalisten übertrieben sei. Wer kümmert sich schon um Politik, wenn man im schönsten Sonnenschein am Strand liegt, Kultur und Natur bewundert, Essen und Trinken genießt? Wer so denkt, sollte intensiv überlegen, ob er (oder sie) sich nicht doch schon einmal bei irgendeiner Gelegenheit öffentlich kritisch zur Türkei oder zu Erdogan geäußert hat.
Hierzulande darf man den Kanzler kritisieren, den Bundespräsidenten, eigentlich jede und jeden, solange man die Grenzen von Beleidigung und ähnlichen, handfesten Delikten nicht überschreitet. In der Türkei darf man das eben nicht so ohne Weiteres. Es kann ins Gefängnis bringen, auch wenn es bloß eine unbedachte Äußerung war. Vielleicht sogar eine, die im vermeintlich „privaten“ Rahmen gefallen ist: im Diskurs im Netz, bei Facebook oder X (früher: Twitter).
Es ist nahezu unvorstellbar, dass Polizei und Justiz in Deutschland solche Quellen durchforsten und quasi „Feindeslisten“ erstellen. In der Türkei ist das offenbar Alltag. Sonst hätte das Auswärtige Amt seine klaren Formulierungen schon längst von der Webseite gelöscht.
* Prof. Dr. Frank Überall ist Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), lehrt an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln und berichtet als Journalist unter anderem für den journalistischen Digitalverlag KIVVON
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