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Pressefreiheit in Indien

Obwohl Indien nie die Robustheit westlicher Demokratien genossen hat, wurde es seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1947 immer als eine zwar problematische, aber funktionierende Demokratie angesehen. Es wurde unter anderem dafür gelobt, dass es in der Lage war, weitgehend freie und faire Wahlen abzuhalten, den Säkularismus als Verfassungswert annahm und ein effektiv funktionierendes nationales Parlament und andere gute staatliche Institutionen schuf. Wie in jedem anderen demokratischen System spielten die Medien eine entscheidende Rolle in Indiens kollektiven Bemühungen, die hohen Standards zu erfüllen, die von seinen Gründungsvätern, Visionären wie Jawaharlal Nehru und Mahatma Gandhi, gesetzt wurden. Es gab Zeiten, in denen die Demokratie im Land ins Wanken geriet, wie zwischen 1975 und 1977, als Premierministerin Indira Gandhi den landesweiten Notstand ausrief und die Medien, in den Worten eines erfahrenen Politikers der Bharatiya Janata Party (BJP), Lal Krishna Advani, „nur gebeten wurden, sich zu beugen, aber sie sind gekrochen“. Dennoch ist der Zustand der Medien heute wohl viel schlimmer als zu Zeiten von Indira Gandhis Ausnahmezustand.

In den dazwischen liegenden Jahren litten die Medien unter den Restriktionen aller Parteien, die Indien regierten. Die aktuelle Situation ist jedoch ziemlich alarmierend. Viele im Land bezeichnen die Hindu-nationalistische BJP-Regierung von Premierminister Narendra Modi als eine Periode des „nicht ausgerufenen Notstands“. Modi, der seit 2014 an der Macht ist, hat die Medienhäuser immer stärker im Griff, wie auch alle anderen Institutionen, die seine Autorität kontrollieren sollen. Im Jahr nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen 2019, bei denen er zum zweiten Mal in Folge antrat, sank Indien im Pressefreiheitsindex auf Rang 142.

Offenbar gelingt Modi als Premierminister Indiens das, was ihm als Ministerpräsident des westlichen Bundesstaates Gujarat während des grausamen dreitägigen antimuslimischen Pogroms im Jahr 2002 nicht gelungen war, als unter seiner Aufsicht mehr als tausend Muslime ver- gewaltigt und ermordet wurden. In einem erschütternden Interview mit einem renommierten internationalen Medienhaus sagte Modi auf die Frage, was er am meisten bedauere, dass er die Medien nicht im Griff habe.

Die meisten indischen Fernsehnachrichtenkanäle sind zur Bühne für beliebte Persönlichkeiten geworden, die sich in Parteipropagandisten verwandeln, da sie zunehmend mit Politikern der Regierungspartei und regierungsnahen Unternehmen zusammenarbeiten und in ihren Diskussionssendungen sowie auf ihren Konten in den sozialen Medien eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von Regierungspropaganda spielen. Denjenigen, die sich diesem Trend widersetzen, bleibt keine andere Wahl als der Rücktritt. Bemerkenswert ist jedoch, dass viele dieser prinzipientreuen Journalisten auf YouTube aktiv sind und einige der meistgesehenen Nachrichtensendungen auf dieser Plattform betreiben. Allen Widrigkeiten zum Trotz verhindern sie, dass der unabhängige Journalismus in Indien ausstirbt.

Einer der Gründe, die die indischen Medien für die Einmischung von Regierung und Unternehmen anfällig machen, ist, dass Zeitungen und Fernsehsender seit Jahrzehnten auf deren Werbeeinnahmen angewiesen sind. Dies hat dazu geführt, dass die Reliance Industries Limited des Modi-Milliardärs Mukesh Ambani nach und nach einen großen Teil der Mainstream-TV-Nachrichtenkanäle übernommen hat. Eine Folge davon ist, dass die Medienhäuser, die sich im Besitz von Reliance befinden, zu den größten Modi-Apologeten und Verkäufern von Fake News gehören, die die regierende BJP begünstigen. Auf den ersten Blick ist die indische Medienlandschaft mit Veröffentlichungen in mehr als 123 Sprachen und Dialekten eine der vielfältigsten der Welt, doch wird diese Vielfalt dadurch zunichte gemacht, dass sie alle bis auf einige wenige allmählich von einigen wenigen Konzernen übernommen werden.

Indien ist auch zu einem der gefährlichsten Länder der Welt für Journalisten geworden, was die Gewalt gegen sie durch staatliche und nichtstaatliche Akteure betrifft. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen wurden im Jahr 2020 vier Journalisten wegen ihrer journalistischen Tätigkeit getötet. Darüber hinaus sind physische Angriffe auf Reporter vor Ort durch die Polizei und den politischen Mob an der Tagesordnung und Einschüchterungen und Schikanen im Internet sind gängige Praxis, so dass einige prominente Regierungskritiker wie Ravish Kumar von NDTV nicht einmal auf die Straße gehen können, ohne dass sie streng bewacht werden.

In seiner 75-jährigen Geschichte als demokratische Republik hat Indien die in seiner glorreichen Verfassung verankerten Freiheiten nie vollständig verwirklicht, aber da die regierende BJP und ihr ideologischer Vordenker Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) diese Verfassung nicht gutheißen, sind sie bei ihren Angriffen auf die verfassungsmäßigen Freiheiten, einschließlich der Pressefreiheit, besonders rücksichtslos.

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