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Journalismus, Krieg und Migration in der Ukraine

Zuvor war ich in Bangladesch tätig, um die Nachrichten über muslimische Flüchtlinge aus Rohingya zu verfolgen. Ich war einer der ersten türkischen Journalisten, der nach dem Erdbeben in Haiti in die Region gereist ist. Ich war schon mal in Kriegsgebieten unterwegs, jedoch war meine Familie nie bei mir.

Diesen Beitrag schreibe ich auf einem Militärstützpunkt in der Schweiz, der als Flüchtlingslager für die Flüchtlinge aus der Ukraine dient. Die Ukraine war die zweite Haltestelle meiner Laufbahn als Journalist, den ich 1998 bei der Zeitung „Zaman“ in Turkmenistan begann. Ich wurde am 01. Oktober 2005 zum Nachrichtenkorrespondenten für die Nachrichtenagentur ,,CIHAN“ ernannt.

In Kiew war ich der erste türkische Reporter, der mit einem Presseausweis arbeitete. Jedoch veränderte sich mein Berufsalltag plötzlich am 16. Juli 2016. Yusuf Inan, ein Journalist mit einer Niederlassungserlaubnis, wurde bei einer gemeinsamen Geheimdienstoperation von den türkischen und ukrainischen Geheimdiensten in die Türkei entführt. Am nächsten Tag veröffentlichten die ukrainischen Medien eine Liste mit fünf weiteren Personen, die der türkische Geheimdienst entführen wollte.

Da ich ein Mitarbeiter von der Nachrichtenagentur ,,CIHAN” war, war mein Name ebenfalls auf der Liste, die in den Medien breit diskutiert wurde. Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 wurde ich auch Opfer dieser Hexenjagd des Regimes, genau wie Tausende andere Menschen. Die ukrainischen Behörden leugneten diese Liste nie. Ich blieb monatelang zu Hause, da ich ein Ziel des türkischen Geheimdienstes war.

Ich wurde sowohl von Social-Media-Accounts, als auch durch Anrufe, die aus Georgien und Russland getätigt wurden, mit dem Tod bedroht. Die ukrainische Pressepolizei untersuchte die Drohungen und Beweise und erklärte danach, dass sie kein „Journalistenschutzprogramm“ haben und deshalb keinen Schutz anbieten können.

Nach den Bedrohungen des türkischen Geheimdienstes setzte ich meinen Beruf so weit wie möglich von zu Hause aus fort. Jedoch veränderte sich die Lage im Februar, als Russland die Ukraine mit der Invasion bedrohte. US-amerikanische und britische Quellen hatten vor langer Zeit darüber informiert, dass Russland die Ukraine angreifen würde. Sie hatten sogar die Daten des Angriffs bekanntgegeben. Einer dieser Daten war der 16. Februar.

Viele westliche Länder wie die U.S.A., Kanada oder England ihre Botschaften in die Stadt Lwiw, die sich nahe der ukrainischen Grenze befindet, als die ersten Kriegsdrohungen durch die Medien die Welt erreichten. In diesen Stunden verbrannte die russische Botschaft alle offiziellen Dokumente und evakuierte ihr Gebäude.

Alle Quellen und Geheimdienstinformationen zeigten, dass Russland die Ukraine angreifen würde. Diese Behauptungen wurden jedoch von den Menschen angenommen. Sie glaubten nämlich nicht, dass ein solcher Krieg im 21. Jahrhundert mitten in Europa stattfinden könnte. Deshalb ging das Leben eine Weile normal weiter. Es war ganz klar, dass Russland die Ukraine angreifen würde, jedoch wollte auch ich nicht daran glauben. Deshalb plante ich auch nicht, die Ukraine zu verlassen. „Die Wahrheit zu kennen und dieser Wahrheit glauben.“ Mir ist jetzt klar, dass dies zwei verschiedene Dinge sind.

DER KRIEG BEGANN

Als am 23. Februar die russischen Panzer durch die ukrainische Grenze einmarschierten, ging in der Hauptstadt das alltägliche Leben weiter. Als ich am 24.Februar über das Video berichtete, in der der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Rede an die russische Nation hält, dachte ich, dass dieser Krieg, der vor unserer Haustür stand, noch gestoppt werden könnte.

Diesen Gedanken gab ich auf, als ich in der Nacht Raketengeräusche gehörte. Das erste Explosionsgeräusch war gegen 4.30 Uhr in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zu hören. Um 4.47 Uhr schickte ich meinen Freunden eine Nachricht: „Der Krieg hat begonnen.“ Ich berichtete weiter, als ich meine Kinder und Frau im Badezimmer einschloss, dem sichersten Teil des Hauses ohne Fenster.

Die Auswirkungen des Kriegs dauerten bis zum Morgen mit den Raketen- und Flugzeuggeräuschen an. Die Familien, die wir kennen, beschlossen im Morgengrauen Kiew zu verlassen. Während meine Kolleg:innen ihr Land nicht verlassen hatten und Journalist:innen aus der ganzen Welt in die Ukraine kamen, um die Entwicklungen zu verfolgen, wollte ich als Reporter trotz allem die Ukraine nicht verlassen.

Zuvor war ich in Bangladesch tätig, um die Nachrichten über die muslimischen Flüchtlinge aus Rohingya zu verfolgen. Ich war einer der ersten türkischen Journalisten, der nach dem Erdbeben in Haiti in die Region gereist ist. Ich war schon mal in Kriegsgebieten unterwegs jedoch war meine Familie nie bei mir. Der russische Präsident Wladimir Putin begann einen Krieg. Einerseits die Sicherheit meiner Familie, andererseits das Bedürfnis der Berichterstattung im Ukraine-Russland-Krieg. Ich verfolgte die Nachrichten in den weiteren fünf Tagen, nachdem ich meine Familie an einen sicheren Ort brachte.

Durch meine Seite ukraynahaber.com (@ukraynahaber) übermittelte ich die Entwicklungen an einen Telegram-Kanal. Jedoch wurde dies aufgrund von Bombengeräuschen und Cyberangriffen unmöglich. Am fünften Tag des Kriegs fielen Bomben in der Nähe unseres Hauses. Daraufhin verließ ich am 5. März die Hauptstadt Kiew unter Artilleriefeuer und nahm meine Familie und sechs weitere Personen, darunter drei Kinder, die im Kriegsgebiet geblieben waren, mit. Ich verließ die Hölle und musste meine Kolleg:innen, die ihr Leben für ihre Arbeit riskierten, meine 16-jährige Erfahrung und mein Archiv, was mein wertvollster Schatz war, hinterlassen.

6 JOURNALIST:INNEN KAMEN UM

Als ich am 17. März mit dem Präsidenten des ukrainischen Journalistenverbandes, Serhiy Şturhetkıy sprach, meinte er, dass sich die Lage für die Journalist:innen in der Ukraine verschlimmerte, sechs Journalist:innen umkamen und manche entführt wurden.

Obwohl alle Journalisten- und Menschenrechtsorganisationen auf der ganzen Welt für die Journalist:innen in der Ukraine sich engagierten, ist die Lage sehr besorgniserregend.

In den russischen Medien ist es verboten, die Invasion als „Krieg“ zu berichten. Stattdessen sollen die Journalist:innen über „eine militärische Spezialoperation“ zur „Entmilitarisierung“ der Ukraine sprechen. Die russische Journalistin Marina Ovsyannikova war die Journalistin, die gegen den Krieg mit einem „Nein zum Krieg“ Plakat am Staatsfernsehen protestierte.

Obwohl dieses Ereignis weltweit Interesse fand, änderte sich die Lage der Journalist:innen nicht.

„Dilerbek Sakirov aus der Ukraine (26.Februar),Yehven Sakun (1. März, als der Fernsehturm bombardiert wurde), Kriegsjournalist Viktor Dudar aus der Ukraine (6. März), Rent Renaut aus den U.S.A. (13. März), Pierre Zakrzewski aus Irland und Oleksandra Kuvsinova aus der Ukraine (14. März) kamen um. Am 12. März wurde ein ukrainischer Journalist in Herson entführt. Viele wurden auch verletzt: Stefan Weichert, der Fotograf Emil Filtenborg Mikkelsen,Stuart Ramsay,Kameramann Richie Mockler,der Journalist aus der Schweiz Guillaume Briquet, Mairan Kuşnir, Pressefotograf Juan Arrendondo, Benjamin Hall.“

Dutzende Journalist:innen blieben im Südosten der Ukraine in der Stadt Mariupol stecken, wo die Konflikte am heftigsten waren. Der Präsident des ukrainischen Journalistenverbandes (NSJU) Serhiy Tomilenko erklärte, dass sie versuchten, die Journalist:innen mit Sicherheitsausrüstung wie Helme und Schutzwesten zu versorgen und dass unsere Kolleg:innen im Kriegsgebiet stecken geblieben sind.

NSJU gibt sich täglich 24 Stunden Mühe,um die Journalist:innen von den Kriegsgebieten zu evakuieren. Obwohl bisher 50 Journalist:innen von diesem Gebiet evakuiert wurden, existiert immer noch für viele ein große Lebensgefahr.

Die Zivilist:innen und Medienschaffende in der Ukraine brauchen mehr Motivation und Unterstützung denn je. Nun musste ich in ein ganz anderes Land auswandern und ich vermisse jetzt schon die Gesellschaft, in der ich 17 Jahre lebte, und meine Freund:innen, mit denen ich eine seelische Verbindung aufgebaut habe.Mein Kampf für die Medien und Meinungsfreiheit in der Ukraine wird jetzt in der Schweiz weitergehen. Ich hoffe auf Frieden für die Ukraine, die diesen Krieg überhaupt nicht verdiente.

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