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Journalismus in Afghanistan unter den Taliban

Tausende von Journalist:innen haben in den letzten 9 Monaten ihren Job in Afghanistan verloren, und viele Medienunternehmen mussten aufgrund zunehmender Sicherheits- und Finanzprobleme ihre Pforten schließen.

Laut einem Bericht von Reporter ohne Grenzen (RSF) vom Dezember haben 40 % der Medienunternehmen in den letzten fünf Monaten des vergangenen Jahres schließen müssen, und fast 6.400 Journalist:innen verloren ihre Arbeit. Hunderte haben das Land verlassen. In einigen Provinzen Afghanistans gab es nur noch eine Handvoll Medienunternehmen. Und die hörten auf, Musik zu senden, entfernten ausländische Inhalte und zogen weibliche Moderatorinnen ab. Mehr als 80 % der Journalistinnen im ganzen Land können keinen Journalismus mehr betreiben.

Bis zum August waren landesweit 543 Medienunternehmen aktiv. Seit die Taliban am 15. August die Macht übernommen haben, wurden mindestens 153 Medienunternehmen geschlossen und Tausende von Medienschaffenden arbeitslos. Nach Angaben der Afghanischen Vereinigung unabhängiger Journalisten (AIJA) wurden 4 von 10 Medienunternehmen im Land geschlossen. 60 % der Medienschaffenden sind arbeits- los. Die Zahl der im Land geschlossenen Medienunternehmen beträgt 231. Laut AIJA beträgt die Zahl der Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, mehr als 6400.

Allein in Kabul musste eines von zwei Medienhäusern schließen. Vor den Taliban gab es in der Stadt 148 Medienunternehmen, jetzt sind es nur noch 72. Journalist:innen haben heutzutage keine alternativen Jobmöglichkeiten, da die Wirtschaft des Landes sehr stark gelitten hat. Pressemitarbeiter wandten sich anderen Geschäftsbereichen zu, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Taliban setzten ihren Vormarsch im ganzen Land fort und schlossen Medien, deren Sendepolitik ihnen nicht gefiel, während sich Journalist:innen entweder aufgrund von Drohungen oder aufgrund aufkommender wirtschaftlicher Probleme anderen Bereichen zuwandten. Zusätzlich zu denen, die ihr Land verlassen mussten, wechselten diejenigen, deren Namen auf den Verhaftungslisten standen, ihren Wohnsitz und begannen, in anderen Städten unter anderen Identitäten zu leben.

Hassan Sirdasch ist nur einer von Hunderten von Journalist:innen, die sich gezwungen sahen, ihr Land zu verlassen. Seine Erfahrung von 17 Jahren Journalismus und seine Arbeit in Dutzenden von nationalen und internationalen Medienorganisationen haben ihn zur Zielscheibe gemacht. Er wurde zweimal von den Taliban entführt und dreimal von Regierungsbehörden festgenommen.

Sirdasch war nach der Machtübernahme durch die Taliban sofort Zielscheibe von Drohungen, da er als Presseberater im Wirtschaftsministerium der Regierung tätig war. Aufgrund dessen gehörte er zu denen, die ihr Land verlassen und im Nachbarland Iran Zuflucht suchen mussten. Sirdasch war ein sehr erfolgreicher Journalist – fast 50 Zertifikate trägt er jetzt als Erinnerung in seiner Tasche.

Hassan Sirdasch sagt, dass der Hauptgrund dafür, Afghanis- tan zu verlassen, die Arbeitslosigkeit war. Außerdem hatten die von der Taliban-Regierung aus den Gefängnissen entlassenen Gefangenen die Drohungen gegen ihn und seine Familie verstärkt, sodass er das Land verlassen musste. Die freigelassenen Häftlinge sprachen Morddrohungen aus und schickten anonyme Drohbriefe an seine Adresse. Sirdasch, Gewinner des Preises „Der mutigste Reporter“ und Träger einer Dankurkunde der Menschenrechtskommission und des afghanischen Parlaments, lehnte es zunächst wegen der dort herrschenden rassistischen Rhetorik und der Haltung gegenüber Journalisten ab, in den Iran zu gehen. Nachdem er jedoch von vielen Botschaften, an deren Tür er klopfte, eine Absage erhalten hatte, war er gezwungen, seine Pläne zu ändern und in den Iran zu gehen. Hassan Sirdasch, der seit 2 Wochen versucht, mit seiner Familie eine Wohnung zu finden, arbeitet jetzt für 150 Dollar im Monat sowohl als Reinigungskraft als auch als Lastträger in einem Geschäft.

Sirdasch betont, dass die Taliban völlig gegen die Meinungsfreiheit sind. Für die Taliban sind Journalist:innen ein Überbleibsel der Regierung des ehemaligen Präsidenten Ashraf Ghani und werden des Hochverrats beschuldigt. Nicht nur Journalist:innen, auch das afghanische Volk kann seine Meinung nicht äußern. Der Verlust dieser Freiheiten schränkt die Berichterstattung von Journalist:innen ein; sie sind Zensur ausgesetzt. Man wartet nur darauf, dass Journalisten Fehler machen; unter fadenscheinigen Gründen werden sie festgenommen und straf- rechtlich verfolgt.

VERBOTE FÜR JOURNALISTINNEN

In 15 der 34 Provinzen Afghanistans arbeiten keine Jour- nalistinnen mehr. In der nördlichen Provinz Dschausdschan, wo vor den Taliban 112 Journalistinnen arbeiteten und 19 Medienunternehmen ansässig waren, schlossen 7 Institutionen ihre Türen. In keinem der übrigen 12 Medienunternehmen sind Journalistinnen beschäftigt. Es wurde vom ersten Moment an bekannt gegeben, dass die Taliban Frauen untersagten, in den lokalen Medien zu arbeiten.

Laut Asliye Ahmadzai, zuständig für Journalistinnen in der nördlichen Region, werden Journalismus und Meinungsfreiheit in der Taliban-Ära als Makel betrachtet. Ahmadzai bedauert, dass die jahrelangen Bemühungen der Taliban, die Meinungsfreiheit zum Schweigen zu bringen, Erfolg zeitigen und befürchtet, dass es im ganzen Land bald keine Journalistinnen mehr geben wird.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Blütezeit von Journalistinnen die Zeit war, als Afghanistan eine Republik war. Mit dem Zusammenbruch der Republik wurde es für Journalistinnen von Tag zu Tag schwieriger, ihren Beruf auszuüben. Hunderte von Journalist:innen wurden arbeitslos. Mit der Scharia der Taliban wurden Frauen erneut gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben. Viele unserer Kolleginnen konnten aus Angst vor den Taliban nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Mit der Eroberung der Hauptstadt Kabul durch die Taliban wurde den Frauen geboten, zu Hause zu bleiben. Journalistinnen, die sich noch trauten zur Arbeit zu gehen, konnte man an zwei Händen abzählen. In den letzten Monaten haben Journalistinnen jedoch begonnen, zu den Medienhäusern in der Hauptstadt zurückzukehren. Die Zahl der Journalistinnen in Kabul, die Anfang August noch bei 1.190 lag, beträgt jetzt nur noch 320.

NEUE JOURNALISMUS-REGELN

Medienschaffende müssen sich nun an die vom Ministerium für Information und Kultur erlassenen „11 Journalismusregeln“ und das islamische Gebot halten, „das Gute zu gebieten und Unrecht zu verbieten“. Nachrichten- und Musikprogramme sind verboten, gesendet werden nur Programme mit religiösem Inhalt. Lokale Radiosender stellten ihre Sendungen während dieser Zeit ein. Journalist:innen, die immer noch versuchen, ihren Beruf irgendwie auszuüben, sind der Gewalt der Taliban ausgesetzt. Es gibt Berichte über bisher fast 40 gewaltsame Übergriffe gegen Journalist:innen.

Der IAJA-Präsident Hojatollah Mujadadi betont in seinem Aufruf an internationale Organisationen, dass die Schließung der Hälfte der Medien des Landes eine Katastrophe für die Pressefreiheit sei und dass die andere Hälfte der Journalist:innen unter schwierigen Bedingungen leiden und auch noch ihre Arbeit verlieren werden, wenn nicht dringend gehandelt werde. Im vom RSF vor der Machtübernahme der Taliban veröffentlichten World Press Freedom Index belegte Afghanistan von 180 Ländern den 122. Platz. Angesichts der obigen Zahlen sollte es nicht schwer sein abzuschätzen, welchen Platz das Land im diesjährigen Index einnehmen wird.

EHSANULLAH ZİYAYİ

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